Die Geschichte des Rosenkranzgebetes
Vorgeschichte und Voraussetzungen
Neben der Eucharistiefeier und dem Stundengebet konnte sich schon vor Jahrhunderten der Rosenkranz im geistlichen Leben der Katholiken fest verankern. Große Heilige haben ihn gebetet (etwa Ignatius von Loyola, Karl Borromäus, Franz von Sales, Johannes Don Bosco, Theresia von Lisieux, John Henry Newman), und aus der Geschichte bekannte Laien sahen in ihm eine unersetzliche Stütze (zum Beispiel Prinz Eugen, Joseph Haydn, Anton Bruckner, Andreas Hofer). Die Malerei und bildende Kunst haben sich in allen Landen des Rosenkranzthemas angenommen (unter anderem Albrecht Dürer, Tilman Riemenschneider, Veit Stoß, Van Dyck), aber auch Komponisten wie Johannes Brahms oder Franz Liszt. Nicht zu vergessen die volkstümlichen Rosenkranzlieder.
Bevor der Rosenkranz jedoch entstehen konnte, mußte es seine Elemente, seine Bestandteile geben. Dabei ist interessanterweise der äußerlichste Bestandteil, die Gebetsschnur, einer der ältesten.
Von der Zählschnur
Gebetsschnüre gibt es in verschiedenen Religionen. Man findet sie im Hinduismus, im Buddhismus und im Islam. Sie dienen dem Zählen von oft wiederholten Kurzgebeten. Und die Anrufungen werden wiederholt, um die darin ausgedrückten "Wahrheiten" zu meditieren.
Eine islamische Gebetsschnur hat zum Beispiel üblicherweise dreimal 33 Perlen. Die Anrufung zu den ersten 33 heißt "subhana 'llah" (Preis sei Gott), zu den zweiten "alhamdu lillah" (Lob sei Gott) und zum dritten Teil "Allahu akbar" (Gott ist groß). Dabei sollen die 99 Perlen gleichzeitig an die 99 schönsten Namen Allahs erinnern.
Alle diese Gebetsschnüre einfach "Rosenkranz" zu nennen, was manche tun, ist falsch. Sie haben in der jeweiligen Religion ihre eigenen Namen. Einen "Rosenkranz" gibt es nur bei den Christen. Aber auch bei ihnen hieß die Gebetsschnur bis herauf in die Neuzeit nicht "Rosenkranz", sondern "Paternosterschnur" oder nur "Paternoster".
Die christliche Gebetsschnur entstand in Mönchskreisen. Schon im 3. und 4. Jahrhundert knoteten sich die Eremiten in der Wüste Schnüre, um ihre Wiederholungsgebete leichter zählen zu können. Im 6. Jahrhundert machte man es auch schon in Irland ähnlich. Gebetsschnüre waren vor allem für jene Laienmönche und -nonnen eine große Hilfe, die statt der vorgeschriebenen Psalmen eine bestimmte Anzahl von auswenidg gekonnten Gebeten zu verrichten hatten, weil sie des Lesens unkundig waren. Weil dabei das Vaterunser das am häufigsten verwendete Gebet war, bekam das Zählgerät den schon genannten Namen "Paternosterschnur". Dieser lebte noch weiter, als man damit längst Ave-Reihen zählte.
Für die Herstellung von Gebetsschnüren gab es im Mittelalter einen eigenen Beruf, den der sogenannten "Paternosterer". In Wien gab es bis 1840 ein "Paternosterergäßchen"; dann viel es der Stadterneuerung zum Opfer. In dieser Gasse saßen um 1405 die "Bethenmacher", so bezeichnet, weil im süddeutschen Raum gegendweise die Rosenkranzschnur im Volksmund oft einfach "die Bethen" genannt wurde (nach Wilfried Kirsch, Handbuch des Rosenkranzes, 1950, S. 64).
Gebetsschnüre bzw. Rosenkränze gab und gibt es in bunter Vielfalt, von einfachen Hanfschnüren mit Knoten über aufgefädelte Fruchtkerne, Holzperlen, Ketten mit Glasperlen, Perlmutt oder Edelsteinen. Im Lauf der Geschichte gab es Rosenkränze in sehr kostbarer Ausführung, die man als Geschenk überreichte.
Das Wiederholungsgebet
Beim Rosenkranzbeten wird das Ave Maria 50mal oder gar 150mal wiederholt. Das macht manchem Anfänger Schwierigkeiten, das wurde von Gegnern oft kritisiert, und es scheint sogar einem Wort Jesu zu widersprechen. "Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie" (Mt 6,7-8). Doch diese Belehrung bezieht sich eindeutig auf das Bittgebet, wobei aus anderen Evangelienstellen hervorgeht, daß sie auch nicht gegen eine mit Innigkeit und Vertrauen wiederholt vorgetragene Bitte spricht (vgl. Lk 18,1-8).
Unter Christen läßt sich das Wiederholungsgebet erstmals bei den Eremiten des Altertums feststellen. Diesen ging es dabei nicht um ein Bitten, sondern um die Erfüllung der Empfehlungen des hl. Paulus: "Seid beharrlich im Gebet" (Röm 12,12), "Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist" (Eph 6,18), und noch eindricnglicher: "Betet ohne Unterlaß!" (1 Thess 5,17). Bei ihrem Bemühen, diesen Ermahnungen zu entsprechen, entdeckten die Wüstenmönche das Wiederholungsgebet (dazu Rainer Scherschel, Der Rosenkranz - Das Jesusgebet des Westens, 1979, S. 21-44).
Ziel ihres "unablässigen Betens" war die Vereinigung mit Gott. Darum waren diese Mönche des 3., 4. und 5. Jahrhunderts bestrebt, über die regelmäßigen Gebetszeiten hinaus so lange wie möglich zu beten. Dazu halfen Kurzgebete, die sie meditierend wiederholten. Sie waren größtenteils der Heiligen Schrift entnommen, meist aus den Psalmen. Der Mönch Kassian zum Beispiel (360-430/35) liebte das "Deus, in adiutorium meum intende, Domine, ad adiuvandum me festina" (Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen). In seiner Schrift "Collationes Patrum" schildert er, wie sich ihm dieses Gebet allen Zuständen und Vorkomnissen anschmiegt. Abbas Arsenius pflegte zu beten: "Herr, leite mich auf Wegen, auf denen ich gerettet werde."
Man war überzeugt: Je mehr der Beter durch die Wiederholung meditierend in die Sinntiefe eines Wortes eindringt, um so mehr macht er sich die darin ausgedrückte Haltung zu eigen. Das Gebetswort wird zur inneren Haltung, die auch noch bleibt und das Leben bestimmt, wenn das Gebet nicht gerade gesprochen wird.
In den "Apophthegmata Patrum", den überlieferten Aussprüchen von Mönchsvätern, erzählt Abbas Lukios, wie er Gebet und Arbeit verbindet: "Ich will euch zeigen, daß ich trotz Verrichtung meiner Handarbeit unablässig bete. Ich setze mich mit Gott nieder, weiche meine kleinen Palmfasern ein und flechte sie zu einem Seil. Dabei sage ich: ,Erbarme dich meiner, o Gott, in deinem großen Erbarmen und nach der Menge deiner Erbarmungen wasche ab meine Ungerechtigkeit' (Ps 51,3-4) (...) Wenn ich den ganzen Tag mit Arbeiten und Beten verbringe, dann verdiene ich sehchs Münzen, mehr oder weniger. Zwei davon gebe ich als Almosen, und von den übrigen bereite ich das Essen. Und es betet für mich, der die zwei Münzen bekommen hat, während ich esse oder schlafe. Und durch die Gnade Gottes wird so von mir das unablässige Beten erfüllt" (nach Scherschel, S.23).
Ein beliebtes Wiederholungsgebet der Wüstenmönche war das "Kyrie eleison!" (Herr, erbarme dich), das erweitert zum bekannten Jesusgebet der Ostkirche führte: "Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner."
Erforscher der Geschichte christlicher Spiritualität weisen darauf hin, daß die alte Kirche und mit ihr die Mönche alle Psalmen christusbezogen verstanden haben. Wenn der Eremit "Gott" oder "Herr" sagte, dachte er konkret an Jesus Christus. Wenn der oben genannte Mönch Kassian sein Lieblingsgebet sprach: "Gott, komm mir zu Hilfe ...", war es an Christus gerichtet, ein "Jesusgebet".
Gerade durch die Schriften des genannten Kassian ist die Gebetspraxis der Wüstenväter, die vor allem im östlichen Teil des Römischen Reiches lebten, den Mönchen in der westlichen Kirche bekannt geworden. Darum findet sich auch im frühmittelalterlichen Mönchtum des Westens die Meditation anhand eines Bibelwortes. Meist war es auch hier ein einprägsamer Psalmvers, der, häufig wiederholt, half, in unablässigem Gebet die Nähe Gottes zu suchen und dem Bösen zu widerstehen. Entsprechend der Zahl der 150 biblischen Psalmen wurde der Vers gerne 150 mal wiederholt.
Für die irischen Mönche zum Beispiel war ein asketisches Ideal, täglich alle 150 Psalmen auswendig zu rezitieren - oder wenigstens ein oder zwei Drittel davon. Schon länger hatte man nämlich die 150 Psalmen in drei Gruppen geteilt. So eine Fünfziger-Gruppe war damals eine beliebte Bußauflage nach der Beichte, und man betete sie im Totenoffizium für Verstorbene. Wer die Psalmen weder lesen noch auswendig konnte, betete an ihrer statt Vaterunser. Das ist schon in den Bußbüchern des 8. Jahrhunderts vorgesehen.
Vaterunser statt der Psalmen beteten auch die des Latein unkundigen Laienmönche in den Klöstern. Damit verbanden sie sich dem Chorgebet der Priestermönche. Gezählt wurde mit jener Gebetsschnur, die vom "Paternoster" den Namen erhielt.
Dem Brauch, Vaterunser-Reihen zu beten, schlossen sich aber auch fromme Christen außerhalb der Orden an. Die Gefahr, daß bei 50mal nacheinander rezitierten Vaterunser nur merh die Lippen beten und die innere Aufmerksamkeit schwindet, ist natürlich groß. Der Versuch, dem abzuhelfen, führte zu diversen Meditationsanregungen, die noch zur Sprache kommen. Motiv für die Gebetsanhäufung war immer die Suche nach der Verbindung mit Gott, das "Beten ohne Unterlaß", letztlich auch bei der Leistung von Bußauflagen oder dem Beten für Verstorbene.
Wie es zum Namen "Rosenkranz" kam
Wer heute "Rosenkranz" sagt, denkt an das bekannte Gebet oder an die Zählschnur. Beide hießen am Anfang nicht so. Das Gebet nannte man "Ave-Fünfziger" oder wenn 150 Ave Maria gebetet wurden, den "Marien-Psalter", und das Zählgerät hieß - wie erwähnt - "Paternosterschnur".
Das Wort "Rosenkranz" lateinisch "rosarium", hatte bis ins 13. Jahrhundert nur profane Bedeutungen. Es bezeichnete einerseits literarische Sammelwerke verschiedener Art, vor allem Lyriksammlungen; interessanterweise wurde auch eine Kirchenrechtssammlung, durch Guido de Baysio um 1300 zusammengestellt, "rosarium" genannt. Andererseits hieß Rosenkranz natürlich ein wirklicher Kranz aus Rosen. Sowohl Frauen wie auch Männer trugen im Mittelalter an Festtagen gerne einen solchen Kranz auf dem Haupt. Oft war dieses "Kleidungsstück" dann gar nicht mehr aus frischen Blüten, sondern aus Edelmetall und Perlen. So ein Rosenkranz war oft eine Ehrengabe, mit Vorliebe das Geschenk eines Mannes an die verehrte Frau. Es war ja die Zeit des Minnesanges. Weil zu dieser Zeit ebenso die Marienminne blühte, entstand der fromme Brauch, Bilder Mariens mit einem Blumenkranz zu schmücken. Wo es möglich war, nahm man dafür Rosen, denn die Rose war den Gläubigen damals das liebste Symbol für Maria. Gereimte Mariendichtungen begann man gern mit der Anrede "Ave Rosa".
Von diesem Brauch führt eine direkte Linie zur Bezeichnung des Ave-Fünfzigers als Rosenkranz. War doch die Erkenntnis naheliegend, daß die Gottesmutter ein Gebet mehr erfreuen müsse als ein Blumenkranz. Nach mittelalterlicher Gewohnheit wurde das den Christen durch eine Legende einprägsam vermittelt. Diese ist schon um 1270 in Spanien bezeugt und wurde nicht zuletzt durch den Kartäuser Adolf von Essen, der sie in seine Schriften aufgenommen hat, im deutschen Raum verbreitet.
Sie erzählt von einem Schüler, dem man alle Voraussetzungen für ein Studium geschaffen hatte, der aber faul und uninteressiert war und nur weltliche Lust im Sinne hatte. Nur an einer löblichen Gewohnheit hielt er fest: Jeden Tag flocht er ein Kränzlein und setzte es einem Bildnis der seligsten Jungfrau auf das Haupt.
Eines Tages spürte er die Gnadenanregung, bei den "grauen Mönchen" (Zisterzienser) einzutreten. Er wurde wirklich aufgenommen, lebte ganz nach der Regel und war zufrieden. Nach längerer Zeit wurde ihm jedoch vor einem Marienbildnis bewußt, daß es ihm jetzt im Orden nicht mehr möglich war, seinen ehemals so geliebten Brauch auszuführen. Er dachte schon daran, das Kloster wieder zu verlassen, da zeigte ihm ein alter Mönch einen Weg, wie er der Gottesmutter einen viel angenehmeren Kranz flechten und aufsetzen könne. Er verwies ihn auf den Ave-Fünfziger. Diesem Ratschlag folgte der junge Mönch gerne und wuchs an Tugend, Tüchtigkeit und Ansehen bei seinen Mitbrüdern.
Ob seines guten Rufes im Orden erhielt er von seinem Abt den Auftrag, in einer besonderen Angelegenheit zu verreisen. Unterwegs stieg er in einer Waldlichtung vom Pferd, um seine täglichen 50 Ave zu beten. Im Gestrüpp aber lauerten zwei Räuber, die es auf sein Pferd abgesehen hatten. Als der Mönch anfing zu beten, sahen die Räuber bei ihm eine wunderschöne edle Frau, die ihm eine Rose nach der anderen vom Mund pflückte. Diese band sie zu einem Kranz von 50 Rosen zusammen, setzte sich diesen auf das Haupt - und entschwand.
Die Strauchdiebe überfielen nun den Mönch, wollten aber auch wissen, wer die schöne Frau gewesen sei. Aber der Ordensmann wußte nichts von einer schönen Frau; diese hatten nur die Räuber gesehen. Schließlich ging ihm ein Licht auf und er erkannte, daß es die Himmelskönigin selber gewesen sein müsse. Da lobte er Gott und Maria und erzählte den Räubern von seiner Bekehrung. Ob seiner Worte und der "Erscheinung" gingen die Weggelagerer in sich, folgten dem Mönch in sein Kloster und wurden selber zwei fromme Ordensmänner (nach Karl Joseph Klinkhammer, Adolf von Essen und seine Werke, 1972, S. 135f).
So kam für das Gebet der 50 Ave Maria ab der Mitte des 13. Jahrhunderts der Name Rosenkranz auf. Es dauerte aber noch lange, bis er sich allgemein durchgesetzt hat. Alanus de Rupe fand ihn im 15. Jahrhundert noch zu profan.
Die 50 Ave Maria wurden noch in der Kurzform gebetet, ohne "Geheimnisse", ohne dazwischengestelltes Vaterunser und "Ehre sei dem Vater". Es war noch nicht "unser" Rosenkranz, zu dem wesentlich das fromme Nachdenken über wichtige Ereignisse im Leben Jesu gehört. Zur klaren Unterscheidung wird der heute übliche Rosenkranz auch "Leben-Jesu-Rosenkranz" genannt.
Wann und wo zuerst den zehn Ave Maria jeweils ein Vaterunser vorangestellt wurde, läßt sich nicht exakt sagen. Früher als die Ave-Reihen gab es jedoch die Paternoster-Reihen, die nun etwas ins Hintertreffen gerieten. Das dürfte diversen Geistesmännern aufgefallen sein, und man wollte auf das "Gebet des Herrn" nicht ganz verzichten. So fand man zur glücklichen Lösung, vor jede Ave-Dekade ein Vaterunser zu stellen.
P. Benno Mikocki und Josef Bauer; Der Rosenkranz - Rhythmus des Himmels, Sankt Ulrich Verlag