Die Ribisel des P. Petrus und Haydns Mariazeller-Messe
Der traditionellen Sühne-Andacht folgte die Festmesse in der vollbesetzten Kirche mit einer Vielzahl von Konzelebranten unter der Leitung von Provinzialminister P. Oliver Ruggenthaler OFM.
Musikalisch wurde der Gottesdienst mit der Mariazeller-Messe Hob.XXII:8 von Joseph Haydn gestaltet. Das hatte einen besonderen Grund, dazu später.
Als eigentliches Datum der RSK-Gründung gilt der Maria Lichtmess-Tag, der 2. Februar; zumindest ist an diesem Tag im Jahr 1947 der erste Eintrag in der Mitglieder-Kartei von P. Petrus handschriftlich dokumentiert.
Der ideelle Ursprung der Gründung der Gebetsgemeinschaft ist jedoch Monate davor anzunehmen. Das exakte Datum lässt sich allerdings nicht mehr feststellen; es muss aber im Sommer des Jahres 1946 gewesen sein. Jedenfalls erinnerte sich eine Schwester der Caritas Socialis-Schwesterngemeinschaft in Graz, wo P. Petrus zu jener Zeit zu Gast war, dass er von dort nicht nach Wien zurückgekehrt, sondern nach Mariazell aufgebrochen ist.
Der Gründe für seine Wallfahrt waren zweierlei: sein persönlicher Dank für die heile Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft sowie die Bitte um den Neuaufbau des militärisch besetzten und in weiten Teilen zerstörten Landes, um das Wiederstehen seiner Heimat Österreich.
Beim Aufbruch nach Mariazell bat P. Petrus die Schwestern um ihr begleitendes Gebet. An welchem Tag genau das stattgefunden hat, wusste die Ordensfrau bei der Wiedergabe des Geschehens im Seligsprechungsprozess für P. Petrus Jahrzehnte später nicht mehr. Ihr war jedoch ein an sich belangloses Detail im Gedächtnis geblieben, nämlich, dass es an jenem Tag Ribisel zum mittäglichen Nachtisch gab. Ribisel waren in damaliger Zeit nur aus eigenem Anbau und daher im Sommer verfügbar (die Ribisel-Erntezeit beginnt Ende Juni um den Johannestag [→ Johannisbeere] und endet Ende August).
In Mariazell sollte P. Petrus vom Anspruch der Gottesmutter erreicht werden, in dessen Folge er die heute in hunderttausenden Mitgliedern weltweit verzweigte Gebetsgemeinschaft geformt hat.
Somit hat das österreichische Heiligtum Mariazell in der Entstehungs- bzw. Gründungsgeschichte des RSK eine besondere Bedeutung. Auch aus diesem Grund beinhaltet das Jubiläumsjahr „100 Jahre Fatima · 70 Jahre RSK“ eine Tagesfahrt nach Mariazell.
Unter den Millionen Pilgern, die in den Jahrhunderten vor bzw. nach P. Petrus Mariazell besucht und dort Wegweisung für ihr persönliches Leben erfahren haben, befindet sich mit Joseph Haydn ein besonders prominenter. Der weltberühmte Komponist hatte bereits als 18-Jähriger eine erste Wallfahrt dorthin unternommen. Damals pilgerte er in einer Lebensphase persönlicher Unsicherheit und existenzieller Sorge: Nach dem Abgang aus dem Kapellknabenhaus am Stephansdom war er ohne geregelte Beschäftigung und auf musikalische Zufallsdienste angewiesen. Erst sieben Jahre später sollte er bei Graf Morzin in Lukavec bei Pilsen eine erste Anstellung und damit die Sicherung seiner Grundversorgung erhalten.
Haydn war zeitlebens ein großer Marien-Verehrer, was nicht zuletzt in einer lebenslangen Beziehung zum Rosenkranzgebet einen Ausdruck gefunden hat:
„Wenn ich keine Inspirationen habe, greife ich zu meiner ‚Wunderschnur‘.
Bete ich dann im Zimmer auf- und abgehend den Rosenkranz, kommen mir so viele Gedanken und Töne, dass ich kaum in der Lage bin, sie schnell genug alle niederzuschreiben.“
Von seinen zwölf vollendeten Messen hat Joseph Haydn gleich drei der Mariazeller Muttergottes gewidmet: die sogenannte Cäcilien-Messe (1766), die Große Orgelsolo-Messe (1768-1770) und schließlich die bekannteste der drei, die Mariazeller-Messe (1782).
Drittgenannte entstand als letzte Messe vor Haydns mehrjährigen Aufenthalten in England. Sie bildet den Abschluss von Haydns mittlerer Schaffensperiode, kurz vor der rigorosen Beschneidung der Gottesdienstkultur durch Kaiser Joseph II. Erst 14 Jahre später sollte Haydn wieder eine Messe komponieren, die Pauken-Messe, die ihre Uraufführung als Primiz-Musik in der Piaristenkirche „Maria Treu“ in Wien-Josefstadt erlebt hat.
Die Mariazeller-Messe komponierte Haydn im Auftrag von Anton Liebe, einem kaiserlichen Militärbeamten, der schon länger mit Haydn persönlich bekannt war. Der Grund für den Kompositionsauftrag wird in der Danksagung bzw. in der Erfüllung eines Gelübdes im Zusammenhang mit der Erhebung Anton Liebes in den Adelsstand („Edler von Kreutzner“) vermutet. Möglicherweise dementsprechend hob Haydn die Danksagung („Gratias agimus tibi“ im Gloria) durch ein anmutiges Sopransolo besonders hervor.
Thomas Dolezal