"Kann ich um Frieden bitten, praktisch aber kein Friedensstifter sein?"
Mit einem Gedenkakt, einem Rosenkranzgebet und hl. Messe, dem der Wiener Weihbischof Franz Scharl vorstand, wurde am Sonntag, dem 15. Mai, der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages vor 67 Jahren gedacht. Der RSK hatte damals großen Anteil am Zustandekommen der bis heute für Österreich maßgeblichen Nachkriegs- und Friedensordnung. Entsprechend hallte der Appell von Weihbischof Scharl nach, dass Christen heute aktive Friedensstifter sein müssen und sich nicht der Illusion hingeben dürfen, durch Waffenlieferungen ein Werk des Friedens zu leisten.
Wien, 16. Mai 2022 (RSK) Wer vom Balkon des Oberen Belvedere blickt, der ist in der Regel mit der Welt versöhnt. Schließlich überblickt man von dort nicht nur eine der schönsten Städte überhaupt mit dem "Steffl" am Horizont, sondern man sieht Menschen miteinander durch die Gärten streifen und erahnt: So soll es sein. Friedlich, friedvoll, frei. Zugleich atmen die Steine dieses Balkons Geschichte und sie tragen das Wissen in sich, dass es nicht immer so war: Schließlich war dies der Ort, an dem ein sichtlich gelöster damaliger Außenminister Leopold Figl am 15. Mai 1955 der jubelnden Menge den Österreichischen Staatsvertrag präsentiert hatte. Frieden und Freiheit, das lehrt ein Besuch dieses Balkons, sind Werte, die erstritten und erlitten werden wollen. Sie gibt es nicht zum Nulltarif.
Dieser Geschichte eingedenk traten am Sonntag, 15. Mai, erneut Menschen auf den Balkon des Belvedere. Darunter Anneliese Figl, die Tochter Leopold Figls, der Bezirksvorsteher des Ersten Bezirks, Markus Figl, sowie P. Benno Mikocki. Zuvor hatte P. Benno einen Gedenk- und Dankgottesdienst in der Schlosskapelle des Belvedere gefeiert – schließlich war der „Rosenkranz Sühnekreuzzug“ eine wesentliche Triebfeder der Verhandlungen zum Staatvertrag. Im Marmorsaal, in dem der Staatvertrag von den vier Besatzungsmächten unterzeichnet worden war, wurde außerdem ein Dankgebet gesprochen und das Lied "Schutzfrau Österreichs" angestimmt. Teilnehmer sprachen im Anschluss von einer eindrucksvollen und berührenden Feier.
Scharl zu Waffenlieferungen: "Werde ich damit nicht zum Brandstifter?"
Am Nachmittag folgte der offizielle und öffentliche Teil des Gedenkens in Form eines "Gebets für Österreich". Nach einem Rosenkranz in der Wiener Franziskanerkirche feierte der Wiener Weihbischof Franz Scharl mit den zahlreichen Gläubigen einen stimmungsvollen Festgottesdienst – würdevoll und bewegend gestaltet vom Chor und Orchester der ARS MUSICA unter der Leitung von Thomas Dolezal und mit Organist Ernst Wally an der Orgel.
In seiner Predigt meldete Weihbischof Scharl ernste Bedenken hinsichtlich Waffenlieferungen westlicher Länder an und in die Ukraine an. Man solle sich nicht der Illusion hingeben, damit nicht aktiv in ein Kriegsgeschehen einzugreifen – schließlich würden auch durch diese Waffen Menschen getötet werden. "Machen wir uns keine Illusionen. Befinden wir uns damit in der Spur Jesu oder benehmen wir uns hier nicht wie 'Ministranten' der Mächtigen? (...) Werde ich damit nicht zum Brandstifter?"
Problematisch sei ein Handeln, in dem das Wohl der Nation vor dem Wohl des Menschen stehe und "die 'Kleinen' als Kanonenfutter in den Kampf geschickt" würden. Die Botschaft des Evangeliums sei hingegen eine Botschaft des Friedens und der Feindesliebe, wie sie Jesus in der Bergpredigt vorgelebt und aufgezeigt habe. Auch Mahatma Gandhi (1869-1948) habe diese Grundhaltung in seinem "offensiv-proaktiven Friedenstiften" verinnerlicht und vorgelebt. Scharls provokante Frage: "Hat er die Bergpredigt Jesu nicht viel mehr beherzigt, als wir Christinnen und Christen sie mehrheitlich beherzigen?"
Abschließend unterbreitete der Weihbischof den Gläubigen zwei Vorschläge: Zum einen dürfe nicht nachgelassen werden in der Bitte und im Gebet um den Frieden. Zugleich aber müsse dies stets einhergehen mit dem aktiven Einsatz für Frieden und Freiheit: „Stiften wir real Frieden, indem wir Menschen und damit ebenso Christinnen und Christen caritativ, argumentativ, netzwerkend, letztlich handfest helfen“, so der Appell Scharls.
Zurück auf den Balkon des Oberen Belvedere, wo sich der Kreis schließt: Wenn man Kreiskys berühmtes Diktum „Lernen Sie Geschichte“ ernst nehmen möchte, so kann man im Blick auf die österreichische Friedens- und Nachkriegsordnung, die durch den Staatvertrag begründet wurde, festhalten: Es braucht beides – die Bitte um den Frieden und das nachdrückliche Engagement für den Frieden. Damals wie heute.
Henning Klingen, kathpress