Festgottesdienst zum Patrozinium der Wiener Franziskanerkirche
In dieser Kirche hat der Franziskanerpater Petrus Pavlicek fast vier Jahrzehnte hindurch gewirkt, von hier aus nahm der von ihm gegründete RSK seinen Anfang, hier haben sich durch die Jahrzehnte hunderttausende Menschen im Gebet um die Freiheit Österreichs und für den Frieden in der Welt verbunden.
Wieso trägt die Franziskanerkirche das Patrozinium des hl. Hieronymus? Die ersten Franziskaner waren 1451 nach Wien gekommen. Ursprünglich hatten sie ihren Konvent auf der Laimgrube, Wien 6, errichtet. Nachdem sie dieses Haus im Zuge der Ersten Türkenbelagerung verloren hatten, überließ ihnen die Stadt Wien 1589 das ehemalige Büßerinnenkloster zu St. Hieronymus. Dieses „Haus der bekehrten Frauen”, eine aus Spenden errichtete Anstalt, war ab 1384 entstanden. Hier erhielten ehemalige Prostituierte Gelegenheit zur Resozialisierung und Rückkehr ins bürgerliche Leben. Sie lebten in einer klosterähnlichen Gemeinschaft unter der Leitung einer „Meisterin“. Die wirtschaftliche Aufsicht oblag vier periodisch gewählten Verwesern aus der Wiener Bürgerschaft. Die Insassinnen durften, wenn sie heirateten, aus der Anstalt ausscheiden, ihr Vorleben durfte ihnen aber bei schwerer Strafe nicht vorgehalten werden. Die zugehörige Kirche St. Hieronymus wurde 1387 vollendet.
Nach langer segensreicher Zeit erfuhr das Büßerinnenhaus im frühen 16. Jh. seinen Niedergang, 1571 war keine Ordensfrau mehr ansässig. 1572 wurde hierin die städtische Jungfrauenzuchtschule (Waisenhaus) untergebracht. Nachdem diese Schule wenig später ins frühere Nikolai-Kloster der Zisterzienserinnen in der Singerstraße verlegt worden war, erhielten nun die Franziskaner das Haus. Sie ließen die Anlage größtenteils niederreißen, ebenso einige der ihnen geschenkten Nachbarhäuser. Im August 1603 legten sie den Grundstein zur heutigen, im Stil süddeutscher Renaissance mit starken gotischen Nachklängen erbauten, Kirche. Der Neubau wurde mit der Hieronymus-Kapelle des vormaligen Klosters vereinigt und übernahm von ihr das gleichnamige Patrozinium, worauf die Hieronymus-Statue über dem Kirchenportal der Franziskanerkirche heute noch hinweist.
Der hl. Hieronymus gilt als der gelehrteste der vier lateinischen Kirchenväter, als sein wichtigstes Werk wird die lateinische Bibelübersetzung (Vulgata) geachtet. Hieronymus‘ Gedenken datiert am 30. September, dem Tag seines Todes im Jahr 420.
Die musikalische Gestaltung wollte dem Festtag mit einer Rarität entsprechen, nämlich mit der Missa Sancti Hieronymi MH 254 von Michael Haydn. Wie sein älterer Bruder Joseph war auch er fast zehn Jahre lang Kapellknabe am Wiener Stephansdom und erhielt ebenda seine Ausbildung. Nachdem die Kirchenmusik der Franziskaner bis 1783 von der Dommusik mitbetreut wurde, ist anzunehmen, dass die Haydnbrüder gelegentlich auch in der Franziskanerkirche musikalisch engagiert waren.
Nach der Kapellknabenzeit und weiteren Stationen in Wien, in Großwardein und in Preßburg konnte Michael Haydn 1763 in Salzburg Fuß fassen und war dort über vier Jahrzehnte bis zu seinem Tode tätig.
Michael Haydns Hieronymus-Messe (Oboen-Messe) entstand 1777, ziemlich sicher im Auftrag seines Salzburger Dienstherrn, Fürsterzbischof Graf Colloredo, dessen Namenspatron, der hl. Hieronymus, dem Werk seinen Namen gegeben hat. Die Orchesterbesetzung (Oboen [Solo/Tutti], Fagotte, Posaunen, Basso continuo, keine Streicher) macht das Werk einzigartig im Genre, möglicherweise aufgrund eines Missverständnisses: Leopold Mozart, der sich über das Werk in einem Brief an seinen Sohn Wolfgang Amadeus ganz überschwänglich begeistert zeigt, schreibt über ein Gespräch mit der Gräfin von Lodron: „da wir von der Messe des Haydens zur Rede kamen, sagte ich ihr meine Meinung wie ich dirs geschrieben hatte, und sie fiel mir gleich in die rede: ja, das war eben nicht die Meinung des Erzbischofs, der Haydn hat ihn nicht recht verstanden…“.
Michael Haydns Werke standen – abgesehen von der populären Singmesse „Hier liegt vor deiner Majestät“ und dem Fronleichnamslied „Deinem Heiland, deinem Lehrer“ – lange und zu Unrecht im Schatten anderer Meister. Doch gilt als einer der wichtigsten Vertreter in der europäischen Kirchenmusikgeschichte, sein Vorbild kann selbst für W. A. Mozarts Entwicklung kaum überschätzt werden. Hoch an der Zeit kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Renaissance seines Werkes in der Forschung, im Verlagswesen und infolge dann auch in den (Kirchen-) Musikprogrammen. Als Pionier der Wiederentdeckung gilt ein Priester aus dem Burgenland, Dr. Rudolf Klafsky (1877-1965) aus Winden am See, der mit seiner Dissertation „Johann Michael Haydn als Kirchenkomponist“ (1911) und mit grundlegenden Beiträgen in den „Denkmälern der Tonkunst in Österreich“ (1915, 1925) der weltweiten Michael Haydn-Forschung den Weg bereitet hat.
Text: Thomas Dolezal