Beten für den Frieden: Heute so wichtig wie vor 75 Jahren!
Eigentlich ist es zum Verzweifeln: Mitten in Europa, wo das Grauen zweier Weltkriege seinen Ausgang nahm und wo nach den Kriegen die Sehnsucht nach Frieden eine einmalige Erfolgsgeschichte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vorangetrieben hat, herrscht erneut Krieg. Und das schon seit über einem halben Jahr – ohne Aussicht auf ein Ende. War unser Beten also umsonst? Hat unsere in Gebete gegossene Sehnsucht nach stabilen Verhältnissen so sehr nachgelassen? Sind wir gar zu wenige geworden? – Mit solchen Fragen, ja, Sorgen beladen kamen am vergangenen Wochenende wieder tausende Gläubige und wohl auch die Prediger und Redner in den Wiener Stephansdom. Die alljährliche Maria Namen-Feier am 10. und 11. September sollte ihnen allen gleichermaßen zur Reflexion auf die 75-jährige Erfolgsgeschichte des Rosenkranz Sühnekreuzzuges (RSK) und zur Bestärkung dienen, im Gebet nicht nachzulassen. Denn: Es zählt jedes einzelne Gebet, jeder einzelne betende Mensch. Das haben – unabhängig voneinander – die Festprediger Kardinal Christoph Schönborn und Erzbischof Franz Lackner betont.
Impressionen vom Samstag
Tatsächlich waren die beeindruckenden, musikalisch wie liturgisch bewegenden Feiern und Gottesdienste ein kraftvolles Signal in Richtung Zukunft: Es braucht das Gebet für den Frieden heute so nötig wie damals! – Denn das geeinte Gebet „ist eine Macht, die Gottes Barmherzigkeit auf diese Welt herabzieht“, wie der RSK-Gründer, P. Petrus Pavlicek, treffend im Feierheft zur Maria Namen-Feier zitiert wurde. Und so folgten auch heuer wieder unzählige Gläubige der Einladung zur Maria Namen-Feier, die zugleich einen Höhepunkt im laufenden Festjahr „75 Jahre RSK“ bildete. Unter den Augen der Fatima-Statue der Muttergottes, die P. Petrus 1949 aus dem portugiesischen Wallfahrtsort nach Österreich gebracht hat, und die traditionell bei der Maria Namen-Feier bei einer festlichen Prozession durch den Dom getragen wird, beteten sie den Rosenkranz und trugen ihre Anliegen vor – und sie folgten damit dem Appell von P. Benno Mikocki, der zu Beginn unterstrich: „Auch das ist unser Dank für 75 Jahre Frieden und Freiheit: Aufbruch zu intensiverem Gebet.“
Neues Goldenes Herz enthüllt
Anlass zur Dankbarkeit nach einem sommerlichen Schock bot in dem Zusammenhang auch ein Detail die Fatima-Statue betreffend: Am 7. Juli waren das Goldene Herz und der Rosenkranz der Gottesmutter, die sonst in der Wiener Franziskanerkirche ihren Platz hat, gestohlen worden. In diesem Herzen befand sich eine Kapsel mit einem Pergament von P. Petrus, auf dem die Mitglieder der Gebetsgemeinschaft der Gottesmutter anvertraut sind. Das Herz wurde nun nach Vorlage neu geschaffen und bei der Maria Namen-Feier enthüllt.
Dank und Anerkennung zollten die Gläubigen im Rahmen der Maria Namen-Feier auch P. Benno selbst – schließlich feiert er am 18. November seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurde ihm von Kardinal Schönborn gleichsam im Vorgriff ein Blumenstrauß überreicht. „In unser aller Namen sage ich dir ein großes ‚Vergelt’s Gott!‘“, so der Kardinal. Als Geistlicher Assistent und in unmittelbarer Nachfolge von RSK-Gründer P. Petrus Pavlicek hat P. Benno die Gebetsgemeinschaft wie kaum ein anderer geprägt. Gemeinsam mit Vorstandsvorsitzender Traude Gallhofer ist er gleichsam Gesicht und Herzmitte des RSK. (Hinweis: „Radio Klassik Stephansdom“ ehrte P. Bennos Leben und Werk mit einer eigenen Sendung. Diese kann unter www.radioklassik.at/lebenswege nachgehört werden.)
„Wir müssen in die Bresche steigen“
„Wir sind weniger geworden“ – mit diesen Worten und einem Blick in die Runde der Gläubigen eröffnete Kardinal Christoph Schönborn am 10. September seine Predigt. Waren es vor wenigen Jahren noch Zigtausende, die die Wiener Stadthalle füllten, so ist es nun der Stephansdom. Doch kommt es wirklich nur auf die Menge der Gläubigen an? Nein, so Schönborn unter Verweis auf das Evangelium mit den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme (Lk 15,1-32). Das Evangelium zeige nämlich, dass es für Gott „keine hoffnungslosen Fälle“ gebe, dass wir der wachsenden Zahl der Nicht-Religiösen daher auch nicht mit Hochmut begegnen sollten, sondern mit Barmherzigkeit. Die Zusage Gottes gelte schließlich für alle: „Ich werde dir nachgehen und dich heimbringen. Und wenn gefallen bist, werde ich dich wieder aufrichten.“
Dem Beter bzw. einer Gemeinschaft wie dem RSK stehe es daher auch nicht zu, verzagt zu sein: „Seien wir unbesorgt – selbst wenn wir weniger werden. Denn die Kraft der Wirklichkeit Gottes ist stärker als unsere menschliche Schwachheit.“ Die Aufgabe des Beters bestehe daher darin, für den Nächsten, ja, für die Welt „in die Bresche zu steigen“, so Schönborn. Denn wenn die Welt nicht mehr glauben, nicht mehr beten kann, zählt jeder einzelne Betende um so mehr mit seiner Fürbitte.
„Wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben“
Auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner ging in seiner Predigt am 11. September von den Ernüchterungen aus, mit denen der Gläubige in einer zunehmend säkularen Welt konfrontiert ist. Es sei dies die Ernüchterung darüber, dass das Wort Gott nicht mehr verfängt, mehr noch, dass der moderne Mensch gar „vergessen hat, dass er Gott vergessen hat“, so Lackner. Die Antwort darauf dürfe jedoch nicht Resignation sein, sondern die feste Hoffnung darauf, dass die Sehnsucht des Menschen nach Erlösung und Gerechtigkeit stärker sind als die Gleichgültigkeit.
Impressionen vom Sonntag
Von einer solchen Sehnsucht berichtete Lackner unter Verweis auf eine Reise, die er gemeinsam mit Bischof Wilhelm Krautwaschl unlängst nach Lemberg unternommen hatte. Dort hatte er einen Friedhof besucht, der voller frischer Gräber war – Gräber von Soldaten, die im Krieg gegen Russland gefallen sind. „Und vor den Gräbern Frauen, die um ihre Männer und Söhne trauerten“. Das Bild einer Frau, die stumm am Grab ausharrte, selbst als es zu regnen begann, habe sich ihm tief eingegraben. „Ich spürte in dem Moment eine tiefe Sehnsucht: Möge mein Glaube wahr sein – für diese stumme Mutter. Möge es war sein, dass es Auferstehung gibt. Dass Gott die Tränen abwischen wird.“ Ähnlich verhalte es sich auch mit der Bitte um Frieden und das Gebet des RSK, schlug Lackner den Bogen:
"Selbst wenn wir scheinbar mit unseren Rosenkränzen ohnmächtig dastehen – dort, wo Sehnsucht nach Gott ist, wird sie wachsen. Wo wir uns von der Not der Leidenden betreffen lassen und diese vor Gott tragen, da wird unser Gebet erhört werden."
„Glaube gibt Halt, Zuversicht und stiftet Sinn“
Eröffnet wurden beide Feiern mit einem beeindruckenden Orgelpräludium sowie mit Grußworten des Apostolischen Nuntius in Österreich, Erzbischof Pedro López Quintana, darauf folgte der Impuls des Vorstehers des Ersten Wiener Gemeindebezirks, Markus Figl (VP). Es nahmen neben dem jeweilige Festprediger auch Weihbischof Franz Scharl, der Hochmeister des Deutschen Ordens, Frank Bayard, Priester und Diakone sowie die Witwen Edith Mock und Anneliese Figl teil.
Der Nuntius versicherte die Gläubigen in seiner Botschaft, die im Dom verlesen wurde, des Gebets und der Anteilnahme von Papst Franziskus. „Möge die Feier dazu betragen, dass ein neuer Aufbruch in Glaube, Liebe und Hoffnung geschehen kann. Dazu erteilt der Papst den RSK-Mitgliedern und Feiernden seinen Apostolischen Segen“, so Nuntius Quintana.
Ein eindrucksvolles Zeichen der Wertschätzung für den RSK setzte indes in seinem „Impulsstatement“ Bezirksvorsteher Markus Figl. Er würdigte nicht nur die Verdienste des RSK im Blick auf den österreichischen Staatsvertrag und die Fundierung einer europäischen Friedensordnung, sondern zeigte sich überzeugt davon, dass Glaube und Gebet auch heute noch den Menschen „Halt und Zuversicht“ geben und „Sinn stiftend“ wirken. Österreich sei schließlich kein laizistisches Land wie etwa Frankreich, sondern gehe verantwortungsvoll mit seinem christlichen bzw. religiösen Erbe um. Keinen Zweifel lies Figl zudem daran, dass das unablässige Gebet des RSK die Geschichte Europas nachhaltig positiv beeinflusst habe – sei es im Blick auf den Frieden in Europa oder den Fall des „Eisernen Vorhangs“ 1989. „Und wir merken bis heute: Es ist nicht vorbei.“ Ob anhaltende Christenverfolgung, die Auswüchse des Kapitalismus, die Bedrohung durch den aktuellen Krieg in der Ukraine oder den erstarkenden Nationalismus: Es brauche das Gebet heute so sehr wie vor 75 Jahren, so Figl. „Krisen gibt es genug. Aber wer gibt dabei Halt, Zuversicht, wer ist Sinnstifter? Der RSK kann hier einen Beitrag leisten, indem er den Glauben und das Gebet fördert“, zeigte sich Figl überzeugt.
Die musikalische Gestaltung der beiden Festgottesdienste, die weiterhin über den Youtube-Kanal der Erzdiözese Wien nachgeschaut werden können (www.youtube.com/channel/UCMXAO-jAgtnfoSw7EZpRtHg), oblag ARS MUSICA unter Leitung von Thomas Dolezal. An der Orgel spielten Thomas Dolezal und Peter Tiefengraber.
Zur Geschichte der Maria Namen-Feier
Das Fest "Mariä Namen" wird im Kirchenjahr am 12. September gefeiert. Der Festtag geht auf ein Fest zu Ehren des heiligen Namens Mariens zurück. Papst Innozenz XI. (1676–1689) setzte den Festtag für die ganze Kirche verbindlich fest, nachdem am 12. September 1683 die vereinigten christlichen Heere unter dem Oberbefehl des polnischen Königs Johann III. Sobieski die Zweite Wiener Türkenbelagerung mit der siegreichen Schlacht am Kahlenberg vor Wien beendet hatten. Dem Heer wurde das Banner mit der Schutzmantelmadonna vorangetragen. Papst Pius X. verlegte das zunächst für den Sonntag nach Mariä Geburt (8. September) vorgeschriebene Fest Mariä Namen auf den 12. September, den eigentlichen Siegestag. Im Römischen Kalender von 1970 wurde das Fest gestrichen, da es eine Doppelung zum Fest Mariä Geburt am 8. September darstelle. Im Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet blieb es wegen des historischen Bezuges zum Sprachgebiet und der Verwurzelung im Volk als Gedenktag erhalten.
Seit 2002 ist "Mariä Namen" auch wieder als nichtgebotener Gedenktag im Generalkalender enthalten. Zahlreiche Kirchen sind dem Patrozinium des Namens Mariens unterstellt. Die Maria Namen-Feier wurde ab 1958 jahrzehntelang in der Wiener Stadthalle abgehalten. Seit 2011 findet sie im Stephansdom statt. Getragen und organisiert wird die Maria Namen-Feier von der Rosenkranz-Sühnekreuzzug-Gebetsgemeinschaft, die 1947 vom Franziskanerpater Petrus Pavlicek (1902-1982) gegründet wurde. Sie umfasst rund 300.000 Mitglieder in mehr als 130 Ländern und gibt die Zeitschrift Betendes Gottesvolk heraus.