Die Magd und die Knechte des Herrn
Gott hat sie für diesen einmaligen Dienst erwählt, die Mutter seines Sohnes zu sein. Häufiger findet sich der Ausdruck „Knecht des Herrn“, aber auch er ist selten und steht nur für Personen, die ein besonderes Verhältnis zu Gott haben. Wir wollen sehen, welche Stellung Maria im Kreis der Knechte des Herrn einnimmt.
Das Volk Israel als der Knecht des Herrn (Lk 1,54)
In ihrem Preisgesang, in dem der Jubel der Magd des Herrn laut wird, spricht Maria vom Verhalten Gottes: zu ihr selbst (1,46-49), zu allen Menschen (1,50-53) und zum Volk Israel (1,54-55). Damit schließt sie ab und sagt: „Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Als Rahmen ihres Dienstes gibt sie die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel an.
Sie beginnt mit Abraham (Gen 12,1-3), ist gekennzeichnet durch das Erbarmen Gottes, durch seine Führung und seine Verheißungen, und sie gilt Israel, das Gott als seinen Knecht bezeichnet: „Ich habe zu dir gesagt: Du bist mein Knecht, ich habe dich erwählt und dich nicht verworfen. Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir“ (Jes 41,9-10; vgl. 43,10; 44,1-2; 45,4). Der Ausdruck verweist nicht zuerst auf einen besonderen Dienst, den Israel zu leisten hat, sondern auf sein vertrautes Verhältnis zu Gott.
In Gott, dem allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde, hat Israel einen Herrn, bei dem es geborgen ist, auf den es sich verlassen kann, der für es sorgt und es beschützt. Dieses fundamentale Verhältnis zwischen Gott und seinem Knecht Israel ist die Grundlage für den Dienst der Magd des Herrn, aber auch für den Dienst, zu dem die Knechte des Herrn berufen sind.
Simeon, der Knecht des Herrn
(Lk 2,25-35)
Als er das Kind Marias in seinen Händen hält, preist Simeon Gott und sagt: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden“ (2,29). Vor ihm hat Maria Gott gepriesen und hat sich als seine Magd bezeichnet (1,46-48). Wenn Simeon sich Knecht des Herrn nennt, so verweist das auf seine Nähe zu Gott. Dreimal wird für ihn der Heilige Geist genannt: der auf ihm ruht, der ihm offenbart, vor seinem Tod den Christus des Herrn zu sehen, und der ihn zur Darstellung Jesu in den Tempel führt (2,25-27).
Ihn hat Gott für die Aufgabe erwählt, im Tempel, im Haus Gottes und Zentrum des Volkes Israel, laut zu verkünden, wer dieses Kind ist, das Maria und Josef bringen: „ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (2,32). Er kündigt aber auch an, dass Jesus „ein Zeichen des Widerspruchs“ (2,34) sein wird, und gibt so den ersten Hinweis, wie sehr sein Wirken umstritten ist. Durch sein Wort „deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (2,35) teilt Simeon Maria mit, dass es zu ihrem Dienst als der Magd des Herrn gehört, von dem, was Jesus trifft, schmerzlich betroffen zu sein. Simeon, der Knecht des Herrn, erscheint in großer Nähe zu Maria, der Magd des Herrn. Ihre Aufgabe ist es, die Mutter des Sohnes Gottes zu sein, und seine Aufgabe ist es, vom Heiligen Geist erfüllt, bekannt zu machen, wer derjenige ist, den Maria geboren hat.
Die Knechte Gottes
Das Alte Testament zeigt, nach dem Blick auf die Anfänge (Gen 1,1 – 11,9), von Abraham ab die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel. Nur wenige Männer werden als Knechte Gottes bezeichnet: Mose, Josua, Samuel, David, die Propheten als Gruppe und ein geheimnisvoller Gottesknecht im Buch Jesaja.
Ausführlich wird die Berufung des Mose am Gottesberg Horeb und sein hartnäckiges Sträuben gegen den Ruf Gottes beschrieben (Ex 3,1 – 4,17). Gott gibt ihm den Auftrag: „Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“ (Ex 3,10).
Mose erhält weitere Anweisungen und macht viele Einwände. Schließlich sagt er: „Aber bitte, Herr, ich bin keiner, der gut reden kann, weder gestern noch vorgestern, noch seitdem du mit deinem Knecht sprichst“ (Ex 4,10). Hier bezeichnet er sich selber als Knecht Gottes und drückt seine Zugehörigkeit zu Gott und sein Dienstverhältnis aus. Er bleibt aber bei seiner Weigerung: „Aber bitte, Herr, sende doch, wen du senden willst!“ (Ex 4,13). Gott wird zornig, hält aber an Mose fest und teilt ihm als Sprecher seinen Bruder Aaron zu (Ex 4,14-17). Von hier ab bis zu seinem Tod (Dtn 34,1-12) bleibt Mose die zentrale Gestalt, durch die Gott sein Volk führt. Noch zweimal wird er als der Knecht des Herrn bezeichnet (Jos 14,7; Ps 105,26).
An ihm zeigt sich beispielhaft, wie der Dienst des Herrn ganz auf das Volk des Herrn bezogen ist, welche Mühe er mit sich bringt, wie er den Berufenen überfordert und dieser ihn nur mit der fortwährenden Hilfe Gottes vollbringen kann. Auch Josua, der die Aufgabe des Mose vollendet und Israel in das Gelobte Land hineinführt, heißt „Knecht des Herrn“ (Jos 24,29).
Samuel steht an einem wichtigen Übergang in der Geschichte Israels und hat die Aufgabe, die beiden ersten Könige zu salben. Er sagt bei seiner geheimnisvollen nächtlichen Berufung: „Rede Herr, denn dein Knecht hört“ (1 Sam 3,10). Unter allen Königen Israels spricht Gott nur von David als „meinem Knecht David“ (2 Sam 3,18; 7,5.8) und gibt ihm die Verheißung (2 Sam 7,16), die sich im Sohn Marias erfüllt (Lk 1,32-33).
Es heißt dann von den Propheten: „Der Herr aber hat alle seine Knechte, die Propheten, zu euch gesandt … Ihr aber habt nicht gehört …“ (Jer 25,4; vgl. 7,25; Am 3,7; Sach 1,6). Sie sind die Mittler zwischen Gott und seinem Volk. Ihnen teilt Gott sein Wort mit. Sie sollen das Volk, das Gott untreu ist, zur Umkehr rufen, werden aber immer wieder abgelehnt und verfolgt.
In Jes 42,1-4 beginnt ein Wort Gottes: „Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht“ (42,1). Matthäus nimmt dieses Wort in 12,17-21 auf und sagt, dass es durch das Wirken Jesu erfüllt ist. Von diesem Knecht Gottes sprechen auch Jes 49,1-6; 50,4-9; 52,13 – 53,12. Die Aufgabe und der Weg des Knechtes ist es, Israel zu Gott zurückzubringen und Licht der Völker zu sein, die Schuld des Volkes und den Tod auf sich zunehmen und von Gott verherrlicht zu werden. Auf dem Hintergrund dieser Aussagen bei Jesaja bezeichnet Petrus, in seiner Predigt am Tempeltor (Apg 3,12-26), den gekreuzigten und auferstandenen Jesus als Knecht Gottes (Apg 3,13.26; vgl. 4,27.30).
Im Neuen Testament ist der Ausdruck „Knecht Gottes“ noch seltener und findet sich nur am Beginn der Briefe, wo der Absender seinen Namen nennt und sich vorstellt. So heißt es in Jak 1,1: „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ und in Tit 1,1: „Paulus, Knecht Gottes und Apostel Jesu Christi.“
Mit Gott ist nun immer Jesus Christus verbunden und häufiger wird er allein genannt: „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkündigen“ (Röm 1,1; vgl. Phil 1,1; 2 Petr 1,1; Jud 1).
Die direkte Verbindung als Knecht geht zu Jesus, dem Herrn, und durch ihn zu Gott, der ihn als seinen Christus gesandt hat. Es ist eine Auszeichnung und beruht auf einer besonderen Berufung, sein Knecht zu sein. Der Dienst, mit dem diese Knechte beauftragt sind, ist die Verkündigung des Evangeliums. Sie tragen den Ehrentitel der Propheten und teilen wie sie das Wort Gottes mit, aber jetzt in seiner endgültigen Form, die Jesus Christus gebracht hat: „Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1,1-2).
Die Magd und die Knechte des Herrn
Der Blick auf die Knechte des Herrn zeigt uns, von der Heiligen Schrift her, die Menschen und Dienste, zu denen Maria und ihr Dienst gehört; mit ihnen kann sie am ehesten verglichen werden. Immer geht es um die Zuwendung Gottes zu seinem Volk. Dafür wählt er Menschen aus und nimmt sie in seinen Dienst. Die er so in seine Nähe holt und die am meisten in seinem Namen wirken sollen, haben den Ehrentitel: die Knechte des Herrn. Ihr Wirken geschieht vor allem durch das Wort; im Namen Gottes sollen sie die Menschen, die Einzelnen und die Gemeinschaft, zur Umkehr rufen, ihnen die Nähe und den Anspruch Gottes bezeugen und ihnen den rechten Weg zeigen. Zu ihrem Dienst gehört es auch, dass sie den Widerstand und die Ablehnung der Menschen erfahren und auf sich nehmen, bis hin zu Misshandlung und Tod.
Der Dienst, den Maria in diesem Kreis und Rahmen zu leisten hat, ist so einmalig und einzigartig wie die Zuwendung Gottes, für die er sie einsetzt. Wo das Wort Gottes Mensch wird (Joh 1,14), wo Gott sich nicht mehr nur durch das Wort seiner Knechte, sondern durch seinen geliebten Sohn an die Menschen wendet (vgl. Lk 20,9-19), da erwählt er Maria für den Dienst, die Mutter seines Sohnes zu sein.
Maria und ihr Dienst gehören zu diesem unüberbietbaren Höhepunkt der Zuwendung Gottes zu seinem Volk; daher ist sie in einem einmaligen Sinn die Magd des Herrn. Nicht von Maria selbst her, sondern nur vom Handeln Gottes und vom Kommen seines geliebten Sohnes her können wir Maria, ihren Dienst und ihre Person, in rechter Weise sehen und verstehen. Je mehr wir an die Zuwendung Gottes in seinem Sohn glauben, desto mehr können wir den rechten Blick für Maria gewinnen und für ihre Aufgabe, „die Magd des Herrn“ zu sein. Ein rechtes Verständnis für Maria hängt ganz vom Glauben an Gott und sein Handeln ab.
Prof. P. Dr. Klemens Stock SJ
em. Prof. für Neues Testament am päpstlichen Bibelinstitut